Ein runder Geburtstag

In meiner Jugendzeit hörte ich oft im Radio das Lied “60 Jahre und kein bisschen weise“. Es wurde von Curd Jürgens gesungen, damals für mich ein ziemlich alter Mann.
In diesem Jahr ist es für mich so weit. 60 Jahre werden ist keine besondere Leistung. Die runden Geburtstage kommen, ohne dass wir uns dafür besonders anstrengen müssen.
Aber es ist keineswegs selbstverständlich, diesen Geburtstag feiern zu dürfen, auch nicht in unseren Tagen, in denen die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer in Österreich fast 80 Jahre beträgt.
Von manchen meiner Kollegen aus der Schulzeit musste ich schon Abschied nehmen.
Wie gehen Sie ganz persönlich mit dem Älterwerden um?
In meiner Umgebung beobachte ich, dass es da sehr verschiedene Wege gibt.
Manche haben das Bedürfnis, einen runden Geburtstag in einer größeren Runde zu feiern, andere ziehen sich an diesem Tag lieber zurück.
Für mich ist der 60. Geburtstag ein Anlass, dankbar zurückzuschauen.
Ich habe erfahren dürfen, dass Gott mir durch die Jahrzehnte immer wieder Menschen an die Seite gestellt hat, die mich in guten und schweren Zeiten begleitet und unterstützt haben.  So kann ich heute in die Worte aus Psalm 103 mit einstimmen: „Lobe den Herrn, meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“


Halt in schweren Zeiten

Es steht uns ein schwerer Herbst bevor!  – Das kann man in diesen Tagen von verschiedenen Verantwortungsträgern in Politik und Wirtschaft oft hören.
Die Folgen des Krieges in der Ukraine, die steigende Inflation, der Klimawandel – es gibt viele Sorgen, die uns in diesem Sommer beschäftigen.
Wo finde ich Halt in krisenhaften Zeiten?
Mir fällt meine längst verstorbene Großmutter ein. Am Beginn des 20. Jahrhunderts geboren hat sie zwei Weltkriege erlebt. Als junge Frau kam sie aus Norddeutschland nach Oberösterreich. Wie für viele Frauen dieser Generation war es für sie eine besondere Herausforderung, in der Kriegs- und Nachkriegszeit für Kinder sorgen zu müssen. 
Meine Großmutter stammte aus einer frommen Familie. Sie hat sich nicht sonderlich für Politik interessiert, aber sie hat die Folgen der weltpolitischen Beben ihrer Zeit hautnah zu spüren bekommen.
Es war wohl ihr manchmal naiver, fast kindlicher Glaube, der ihr in den krisenhaften und turbulenten Jahren Halt und Kraft gegeben hat.
Sie war es, die mit mir am Abend vor dem Schlafengehen regelmäßig gebetet hat: „Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe meine Augen zu. Vater, lass die Augen dein über meinem Bette sein“.
Es tut gut, wenn man schon als Kind gelernt hat, wie Vertrauen, wie Glaube tragen kann – gerade auch in turbulenten Zeiten!

Freude an der Gemeinschaft

„Wie bist Du eigentlich dazu gekommen, Dich in der Kirche zu engagieren?“
Diese Frage hat mir vor kurzem jemand gestellt.
Mir fiel als erstes mein Religionslehrer aus der Volksschule ein.
Er konnte wunderbar spannend die alten biblischen Geschichten erzählen, so dass ich mir viele Details bis heute gemerkt habe.
Eines Tages fragte er mich, ob ich ein Instrument spielen könne.
Ich hatte mir die Grundkenntnisse des Blockflötenspiels selbst beigebracht.
Der Lehrer lud mich zusammen mit ein paar anderen Kindern zu sich ein.
Bald waren wir ein kleines Flötenensemble, das zu verschiedenen Anlässen im kirchlichen Rahmen auftreten durfte.
Wir spielten bei Hochzeiten, Geburtstagsfeiern und Festgottesdiensten. Die samstäglichen Treffen bei meinem Lehrer waren über Jahre hinweg Fixpunkte in meinem Wochenablauf. So wurde Kirche für mich in dieser Zeit so etwas wie Heimat. Ich hatte das Gefühl, dazuzugehören und ernst genommen zu werden.
Christlicher Glaube hat immer etwas mit Gemeinschaft zu tun.
Natürlich gibt es da auch unterschiedliche Meinungen und Spannungen,
aber das Wesentliche ist die Basis des gegenseitigen Vertrauens.
Ich bin dankbar, dass ich als Kind eine solche Gemeinschaft erleben durfte, in der nicht Leistungsdruck und Konkurrenz im Vordergrund steht, sondern die Freude am Miteinander.
Ich wünsche möglichst vielen Kindern, dass sie auch eine solche Erfahrung machen können!

Die Weichen werden gestellt

Manche Jugendliche wissen schon sehr früh, welchen Beruf sie ergreifen wollen. Bei mir war es lange Zeit nicht so eindeutig, in welche Richtung es gehen wird.
Meine positiven Erfahrungen im Religionsunterricht und das Interesse an der Bibel führten mich zu dem Gedanken, Theologie zu studieren.
Aber so ganz sicher war ich mir dann doch nicht.  Ich kannte ja die Vorurteile, dass sich in diesem Studium hauptsächlich weltabgewandte oder verschrobene Typen versammeln.
Aber dann tauchte kurz vor der Matura in der Pfarrgemeinde Wien-Floridsdorf, zu der ich gehörte, ein junger Vikar, ein Pfarrer in Ausbildung auf. Er war überhaupt nicht weltabgewandt und verschroben. Er feierte mit uns Partys im Keller unter der Kirche und lud uns dazu ein, mit ihm Gottesdienste zu gestalten. Die Themen, die dort angesprochen wurden, haben uns Jugendliche Anfang der 80er Jahre intensiv beschäftigt. Es ging um die Suche nach Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt, damals auch schon um die Bewahrung der Schöpfung.
Der damalige Vikar hat mich davon überzeugt, dass die Frage nach Gott und die Verantwortung für die Welt immer untrennbar zusammengehören.
Im September nach der Matura schrieb ich mich für das Theologiestudium ein und habe dort viele Menschen kennengelernt, mit denen ich bis heute eng verbunden bin.

Neue Wege

Nichts bleibt mehr so, wie es war! Das war die Situation der Menschen in Osteuropa Anfang der 90er Jahre. Die Berliner Mauer war gefallen, die politischen Veränderungen erzeugten eine Stimmung des Aufbruchs, besonders bei den Jungen.
Auch für mich waren das damals aufregende und bewegte Zeiten.
Ich hatte Mitte der 80er Jahre im damals noch geteilten Berlin studiert und war in engem Kontakt mit kirchlich engagierten Friedensbewegten in der DDR.
Die scharfen Grenzkontrollen am Berliner Bahnhof Friedrichstraße sind mir noch heute gut in Erinnerung.
Es war ein unglaublich befreiendes Gefühl, als ich im Frühling 1990 das erste Mal durch das offene Brandenburger Tor gehen konnte und die dort noch postierten Grenzbeamten sich nicht einmal für meinen Pass interessierten.
Die Liebe brachte mich bald dazu, mich für mehrere Jahre im pulsierenden Berlin niederzulassen.
Die Stadt veränderte sich rasend schnell. Die Spannungen zwischen den Menschen aus West- und Ostdeutschland waren ständig spürbar.
Aber das vorherrschende Grundgefühl erlebte ich damals so, wie es der ostdeutsche Pfarrer Klaus Peter Hertzsch in seinem Lied 1989 formulierte:
Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist,
weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt. Seit leuchtend Gottes Bogen am hohen Himmel stand, sind Menschen ausgezogen in das gelobte Land.

Hochzeit im Kloster

Wo feiern wir unsere Hochzeit? 
Vor dieser Frage steht jedes Brautpaar, wenn es sich dafür entschieden hat,
aus Anlass der Eheschließung ein Fest zu feiern.
Bei meiner Frau und mir war es vor 14 Jahren so weit.
Nach längeren Überlegungen machte meine Frau einen überraschenden Vorschlag: Lasst uns doch im Kloster feiern!
Und so war es dann auch: 
Wir waren mit den Schwestern der Dominikanischen Gemeinschaft im Kloster Kirchberg am Wechsel durch mehrere Aufenthalte verbunden. Dieses Kloster ist ein wunderschöner Rückzugsort, um sich an Leib und Seele zu erholen.
In der Nähe befindet sich die gotische St. Wolfgangskirche.
In dieser katholischen Kirche gaben sich der evangelische Pfarrer und die Vikarin das Trauversprechen. 
Anschließend waren alle Gäste im Hof des Klosters eingeladen. Diesmal durfte es am Ort der Stille ausnahmsweise etwas lauter zugehen. Es wurde gesungen, getanzt, gegessen und getrunken. Das Labyrinth im Klosterhof bereitete uns auf die oft verschlungenen Wege des Ehelebens vor.
Die ökumenische Verbundenheit zwischen katholischen und evangelischen Christenmenschen braucht manchmal auch ungewöhnliche Zeichensetzungen.
Für mich, der kurz vor der Eröffnung des zweiten Vatikanischen Konzils in eine konfessionsverschiedene Familie geboren wurde, hat dieses Zeichen viel bedeutet. Ich bin den Kirchberger Schwestern für ihre Gastfreundschaft bis heute sehr dankbar!
Ein gelungenes Experiment

Warum zieht ein gebürtiger Großstädter in eine Kleinstadt wie Wels?
Meistens verlaufen die Wege umgekehrt.
Ich bin in Wien aufgewachsen, habe u.a. in Berlin und Jerusalem studiert.
Mit knapp 50 Jahren habe ich mich dazu entschlossen, mich als Pfarrer in Wels zu bewerben.
Das hat viele meiner Freunde zunächst überrascht. Ich betrachtete den Umzug mit meiner Familie als neue Herausforderung, gewissermaßen als Experiment.
Vieles war am Anfang neu und ungewohnt. Die Welser evangelische Pfarrgemeinde ist bunt zusammengesetzt. Alteingesessene Bewohner der Stadt, Familien aus dem Umland, die durch die Landwirtschaft geprägt sind, Akademiker, Künstlerinnen.
Wo gibt es heute Orte, an denen Menschen aus unterschiedlichsten Milieus zusammenkommen und die bei aller Verschiedenheit doch auch eine gemeinsame Identität haben? 
Gerade in Zeiten, in denen oft von zunehmenden Spannungen oder sogar Spaltungen in unserer Gesellschaft die Rede ist, braucht es dringend solche Begegnungsorte. 
Die Grundlage für ein gedeihliches Miteinander ist das gegenseitige Vertrauen auch in schwierigen Situationen.
Ich durfte dieses Vertrauen in den letzten 10 Jahren in Wels erleben.
In meiner Pfarrgemeinde, an meinen Arbeitsplätzen in verschiedenen Schulen, Altenheimen und in der Gefängnisseelsorge. Dankbar kann ich heute sagen: Das Experiment ist gelungen.