Die Fastenaktion der Evangelischen Kirche ruft in diesem Jahr dazu auf, die Herzen zu öffnen und weit zu machen!

Fastenzeit – ein anderer Zugang aus evangelischer Sicht

Für evangelische Christen und Christinnen steht in der Fastenzeit traditionell das Gedenken an das Leiden und Sterben Jesu im Mittelpunkt. Deshalb werden die 7 Wochen vor Ostern in der Evangelischen Kirche auch meistens „Passionszeit“, also Leidenszeit genannt.
Fasten hatte lange Zeit keine Bedeutung für die evangelische Frömmigkeit – im Gegenteil: Bei vielen Evangelischen galt es als verpönt. Vom Schweizer Reformator Ulrich Zwingli ist bekannt, dass er am ersten Sonntag in der Fastenzeit des Jahres 1522 beim so genannten Zürcher Wurstessen dabei war. Das war so etwas wie eine provokative Demonstration für die evangelische Freiheit.
Noch heute kenne ich evangelische Familien, die am Karfreitag bewusst Schnitzel essen, um an diese Tradition anzuknüpfen.
Aber in den letzten Jahren hat sich durch die Ökumene auch in den evangelischen Kirchen ein positiver Zugang zum Fasten entwickelt. Während manche meiner Bekannten auf Genussmittel wie Alkohol oder Schokolade verzichten, konzentrieren sich andere auf bestimmte Grundhaltungen. Sieben Wochen ohne Enge – großes Herz! – so lautet das Motto der heurigen Fastenaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland, an der sich ca. 3 Millionen Menschen beteiligen, auch viele Gemeinden in Österreich. Großherzig sein zu meiner Umgebung und zu mir selbst – auch das kann eine Art des Fastens sein.

Mein Herz wird weit!

Das Herz ist in der Bibel das menschliche Organ, in dem alles zusammen kommt:
Das Denken, das Fühlen und das Wollen. Die Bibel trennt das Gefühl nicht vom Verstand. Ein weites Herz macht frei, es lässt mich durchatmen und schärft meinen Blick. Es führt heraus aus der Enge der Ängste und Sorgen, die meinen Alltag oft beschweren.
In einem biblischen Psalm wird Gott so gelobt:
Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, dass ich singe und lobe.
Herr, ich will dir danken unter den Völkern, ich will dir lobsingen unter den Leuten. Denn deine Güte reicht, so weit der Himmel ist und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.
Dieses Loblied öffnet mein Herz in der Fastenzeit. Ich will mich anstecken lassen von Gottes Güte. Sie kennt keine Grenzen, keine Zäune, keine Absperrungen. Gott ist grenzenlos barmherzig, denn er selbst hat ein weites Herz.
Barmherzig – das ist ein Wort, das aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch weitgehend verschwunden ist. Für manche Ohren mag es altmodisch und ein wenig verstaubt klingen.
Ich bin davon überzeugt: Gerade in unseren Tagen ist Barmherzigkeit, ist ein weites Herz wichtig für das Zusammenleben. Großzügig umgehen mit den Fehlern von Menschen in meiner Umgebung, aber auch mit meinen eigenen Schwächen, das kann ich mit einem weiten Herzen.

Barmherzigkeit im Internet

Großes Herz! 7 Wochen ohne Enge. So lautet in diesem Jahr das Motto der Fastenaktion der Evangelischen Kirche.
Die modernen Medien haben uns in den letzten Jahren ungeahnte Möglichkeiten im Bereich der Kommunikation eröffnet. Jederzeit und überall erreichbar sein – für manche Menschen ist dadurch eine wunderbare Vision Wirklichkeit geworden. Die Jüngeren können sich eine Welt ohne Handys und Internet überhaupt nicht mehr vorstellen.
Die einen betrachten die rasante Entwicklung der Technik als Segen, für die anderen ist es ein Fluch. Einige meiner Schülerinnen erzählen mir, wie anstrengend und stressig es oft ist, auf Nachrichten, die sie auf ihr Smartphone bekommen, sofort reagieren zu müssen. Wer zu spät antwortet, ist in der Gruppe unten durch. Der soziale Druck in den neuen Medien ist für manche ungeheuer groß.
Auch ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich mich ärgere, wenn jemand meine E-mails oder ein SMS nicht schnell beantwortet.
Großes Herz – 7 Wochen ohne Enge. Ich wünsche mir das besonders auch im Umgang mit den neuen Medien. Ein guter Ansatz ist die Frage, ob ich das, was ich in die Tasten oder auf dem Smartphone tippe, meinem Gegenüber so auch direkt ins Gesicht sagen würde. Für eine gelungene Kommunikation ist letztlich nicht so sehr die Geschwindigkeit entscheidend, sondern das weite Herz, oder anders gesagt: die Barmherzigkeit.

Ein weites Herz auf dem Schulweg

Letzte Woche habe ich mit meiner sechsjährigen Tochter Frida einen Film angeschaut. Er heißt „Auf dem Weg zur Schule“.
Es sind vier wahre Geschichten von Kindern, die einen langen und beschwerlichen Weg zur Schule haben. Sie leben in fernen Ländern, in Kenia, in Argentinien, in Marokko und Indien.
Die Kinder in Kenia müssen gefährlich nahe an einer Elefantenherde vorbei, in Argentinien reiten sie auf einem Pferd durch die Weite Patagoniens, in Marokko müssen sie über die steinigen Wege des Atlasgebirges wandern, in Indien einen Rollstuhl durch unwegsame Flusstäler schieben.
Hindernisse werden aus dem Weg geräumt, Ängste überwunden. Allen Kindern gemeinsam ist die Lust am Lernen und das Bewusstsein, dass ihnen durch Bildung ein Tor in die Zukunft geöffnet wird.
Meine Tochter hat den Film zu ihrem derzeitigen Lieblingsfilm erkoren. Einerseits, weil er spannend ist. Bis zum Schluss ist es nicht sicher, ob die Kinder rechtzeitig und sicher in der Schule ankommen. Andererseits hat sich wohl bei Frida auch die Perspektive auf ihren eigenen Schulweg verändert und was es überhaupt heißt, in die Schule gehen zu dürfen.
Mich hat an dem Film fasziniert, mit welchem Vertrauen die Eltern ihre Kinder losschicken – ohne Handy, aber alle mit einem Segensspruch, dass sie sicher und wohlbehalten an ihrem Ziel ankommen mögen.
Dieses Vertrauen ist eine gute Grundlage für ein weites Herz.

Vergebung kann die Herzen öffnen

Viel ist in letzter Zeit die Rede von christlichen Werten.
Menschen aus anderen Kulturen, die nach Österreich kommen, sollen zur Teilnahme an Werteschulungen verpflichtet werden – so lautet ein Vorschlag.
Aber welche Werte damit konkret gemeint sind, bleibt in der öffentlichen Diskussion oft unklar.
Die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit, dass sich Christenmenschen in unserem Land über ihre Werte oder Grundhaltungen Gedanken machen.
„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – so lautet eine Bitte im Vater Unser, dem zentralen christlichen Gebet, das auf Jesus selbst zurückgeführt wird.
Vergebung, Verzeihung – ein wesentliches und schwieriges Element des christlichen Glaubens.
Was muss passieren, dass ich jemandem, der mich verletzt, betrogen oder enttäuscht hat, verzeihen kann? Welche Formen von Entschuldigung bin ich bereit, anzunehmen?
Und wie gehe ich damit um, dass ich mich selbst immer wieder in Schuld verstricke? Diese Fragen begegnen mir in meinem Alltag ständig, gegenüber meiner Frau, meiner Tochter, im Gespräch mit meinen Schülerinnen und Schülern und mit den Tätern, mit denen ich als Gefängnisseelsorger zu tun habe.
Ich halte diese Fragen für entscheidend dafür, ob ein Miteinander gut funktionieren kann, sei es in der Familie, im Freundeskreis, im beruflichen Umfeld oder in unserer Gesellschaft insgesamt.
Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Möge diese Bitte helfen, die Herzen zu öffnen, nicht nur in der Fastenzeit!

Was macht der Neid?

Hast Du schon gehört? Der bekommt etwas, was ihm überhaupt nicht zusteht!
So beginnen Neiddebatten. Die gibt es in Familien, besonders dann, wenn es um Fragen des Erbens geht, die gibt es im Berufsleben z.B. bei der Verteilung von besonderen Zuschlägen oder Prämien und die gibt es sehr oft dann, wenn jemand eine soziale Unterstützung in Anspruch nimmt.
Solche Neiddebatten machen nicht nur schlechte Stimmung, sie können Beziehungen und Familien richtig zerstören und wirken sich negativ auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus.
Die Fastenzeit ist eine gute Zeit, um in sich zu gehen und darüber nachzudenken: Lasse ich mich auch manchmal vom Neid anstecken?
In der Bibel erzählt Jesus die Geschichte von zwei Brüdern. Der Jüngere lässt sich das Erbe ausbezahlen und verprasst es. Als er zurückkommt, wird er vom Vater mit offenen Armen aufgenommen. Ein Fest wird gefeiert.
Der ältere Bruder hält diese Willkommenskultur nicht aus. Er beruft sich darauf, seine Pflichten immer genau erledigt zu haben und beschwert sich beim Vater über die vermeintliche Bevorzugung des Jüngeren.
Diese biblische Neiddebatte wird vom Vater so beendet: Er fordert seinen älteren Sohn auf, sich mit dem wiedergekommenen Bruder zu freuen.
Leicht wird ihm das nicht gefallen sein.
Ein großes Herz braucht keine Neiddebatte. Es freut sich mit dem, der etwas bekommt, auch wenn er es nach meinem Maßstab nicht verdient hat.

Du musst nicht perfekt sein!

Kinder haben es in unserer leistungsorientierten Gesellschaft nicht leicht.
Schon im Kindergarten wird festgestellt, welches Kind in welchem Bereich Förderbedarf hat.
Jakob hat eine leichte Behinderung – er braucht für alle Handgriffe etwas länger und kann sich nicht so schnell bewegen wie die anderen.
Seine Eltern melden ihn in einer Integrationsklasse an. Obwohl Jakob besser lesen und rechnen kann als die meisten anderen Kinder seiner Klasse, teilt die Lehrerin den Eltern bald nach Schulbeginn mit, dass ihr Sohn die erste Klasse wiederholen muss.
Wenn schon am Beginn einer Schulkarriere eine große Enttäuschung steht, wird es schwer sein, das Kind in Zukunft für das Lernen zu begeistern.
Jeder Mensch hat Schwächen.
Manche lernen sehr früh, damit gut umzugehen. Anderen werden die eigenen Defizite schon von Kindheit an so massiv vorgehalten, dass sie sich ihr ganzes Leben als Unterlegene oder in der Sprache der Jugendlichen als „loser“ fühlen.
Du darfst ein „loser“ sein! Du kannst dich von dem Druck befreit fühlen, perfekt sein zu müssen. Du musst deine Schwächen nicht verstecken und kannst dazu stehen. Du bist trotzdem wertvoll und gehörst zu uns!
Diese Sätze passen vielleicht nicht so gut zu den Erwartungen, die in manchen Bildungsinstitutionen heute vermittelt werden.
Aber sie passen gut zu dem Menschenbild, das ich in der Bibel finde.
Gott hat ein großes Herz – von ihm kann ich lernen, ohne Enge zu leben.

Pfarrer Roland Werneck